Archaeozoologenverband

It's all about bones!

Kerstin Pasda (in Zusammenarbeit mit Christoph Mayr, Sebastian Pfeifer, Lilian Reiss, Thomas Einwögerer, Marc Händel, Norbert Buchinger, Wiliam Schwab und Andreas Maier)

Kleidung, Jagd und Überleben in der letzten Eiszeit: Neue Erkenntnisse aus Kammern-Grubgraben

Die Fundstelle Kammern-Grubgraben in Niederösterreich gehört zu den bedeutendsten archäologischen Orten Europas aus der letzten Eiszeit – genauer gesagt aus der kältesten Phase, dem sogenannten Letzten Glazialen Maximum (LGM) vor etwa 24.000 bis 20.000 Jahren.

Was diesen Ort besonders macht, ist die große Menge an von Menschen zusammengetragenen Steinlagen, Werkzeugen aus Stein und Knochen, Schmuckstücken und Tierknochen. Eine genauere Analyse der Tierüberreste zeigt: Die Menschen kamen offenbar nur im Winter hierher – und jagten überwiegend Rentiere (Rangifer tarandus) (siehe Abbildung, b).

Abbildung: Vergleich der nachgewiesenen Tierarten zwischen Vor-LGM-Fundstellen aus Niederösterreich (a – 33-29.000 BP) und der LGM Fundstelle Kammern-Grubgraben (b – 24-20.000 BP), basierend auf den Mindestindividuenzahlen (Pasda et al. Fig. 4)


Das ist bemerkenswert, denn ältere Fundstellen in der Region – wie Krems-Hundssteig, Krems-Wachtberg oder Langenlois A – erzählen eine andere Geschichte: rund 10.000 Jahre früher stand dort die Jagd auf Mammute im Mittelpunkt (siehe Abbildung, a).
Was also machte Kammern-Grubgraben so besonders? Neueste Untersuchungen zur Alters- und Geschlechtsverteilung der gejagten Rentiere zeigen, dass es den Menschen nicht nur um Fleisch und Knochen für Nahrung ging. Vielmehr scheinen vor allem die Felle eine entscheidende Rolle gespielt zu haben.
Das Winterfell der Rentiere ist besonders dicht, warm und wasserabweisend – ideal für Kleidung, die in Kälte und bei nasskalten Bedingungen überlebenswichtig war. Unterstützt wird diese Annahme durch zahlreiche Funde von Öhrennadeln – spitz zulaufenden Nähwerkzeugen mit Öse, die perfekt für die Herstellung stabiler, dichter Nähte geeignet sind.
All das deutet darauf hin, dass Kammern-Grubgraben nicht nur ein Jagdplatz war, sondern auch ein Zentrum für die Herstellung von warmer Kleidung und Ausrüstung aus Fell und Leder – eine lebenswichtige Fähigkeit für das Überleben unter den damaligen Bedingungen.

Veröffentlichung:

Pasda, K., Mayr, C., Pfeifer, S., Reiss, L., Einwögerer, T., Händel, M., Buchinger, N., Schwab, W., Maier, A., 2025. Ice Age apparel – changing prey patterns towards the Last Glacial Maximum and the role of reindeer fur for clothing at Kammern-Grubgraben. Journal of Paleolithic Archaeology Vol 8 (15), https://doi.org/10.1007/s41982-025-00216-3

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