Viehwirtschaft der südostbayerischen Gruppe
Simon Trixl & Janette Horvath
Archäologischer Hintergrund der Studie
In der mittleren Latènezeit (ca. 250 bis 150/120 v. Chr.) war das nördliche Alpenvorland durch eine Kulturform geprägt, die als Oppida-Zivilisation bezeichnet wird. Nach dem wirtschaftlichen Niedergang der spätkeltischen Oppidazivilisation brach das politisch-soziale Gefüge zusammen und es wird ein vollständiger Siedlungsabbruch, der als "Helvetiereinöde" bezeichnet wird, diskutiert. Die wenigen archäologischen Belege, mit einer Spätdatierung bis in das Latène D2 (ca. 50 bis 15 v. Chr.), weisen allerdings daraufhin, dass eine im Lande verbliebene, bäuerlich geprägte keltische Bevölkerung in kleinen weilerartigen Gehöften und in vereinzelt noch bewohnten Viereckschanzen durchaus noch vor Ort siedelte.
In der Münchner Schotterebene konnte zudem ein kleiner Personenverband identifiziert werden, der als südostbayerische Gruppe bezeichnet wird und evtl. aus dem deutschen Mittelgebirgsraum stammt. Es scheint sich demnach nicht um einen vollständigen Siedlungsabbruch im nördlichen Alpenvorland zu handeln, ob allerdings von einer echten Siedlungskontinuität von der späten Eisenzeit in die frühe römische Kaiserzeit ausgegangen werden kann, ist derzeit noch ungeklärt.
Subsistenzwirtschaft in Bezug auf die Viehhaltung: Tierartverteilung, Alters- und Geschlechtsanalysen
In den ländlichen Siedlungen der Oppidakultur scheinen die Rinder, Kleinwiederkäuer und Schweine grösstenteils für den Eigenbedarf gehalten worden zu sein. Eine Funktion als Produktionsstätten für grössere Zentralsiedlungen ohne eigene Viehzucht, ist nur vereinzelt auszumachen. Jede Siedlung scheint ihre eigene Strategie, die auf ihren individuellen Bedürfnissen und Voraussetzungen gründete, verfolgt zu haben. Ähnliches gilt auch für die Viereckschanzen, für die als befestigte ländliche Siedlungen mit einem kleinregionalen Zentralcharakter in einigen Fällen bzw. für einige Tierarten keine eigene Zucht nachweisbar ist. Das Bild für die unbefestigten Zentralsiedlungen scheint zumindest in Bezug auf die Schweinehaltung gewisse Gemeinsamkeiten aufzuzeigen. So hielten und züchteten die meisten Siedlungsbewohner ihre Schweine wohl nicht oder nur in geringem Umfang selbst. Sie ließen sich Tiere aus den umgebenden wohl bäuerlich wirtschaftenden Höfen und Kleinsiedlungen liefern. Für die untersuchten Taloppida ließ sich festhalten, dass sich lediglich in den Faunenkomplexen für den Basler Münsterhügel deutliche Hinweise für den Import von Tieren zur Ernährung der großen Zahl an Bewohnern finden. Es ist zwar als wahrscheinlich anzusehen, dass sich, aufgrund der großen Bevölkerungskonzentration mit großen, nicht mit der Produktion von Lebensmitteln beschäftigten Personengruppen in den Oppida und den unbefestigten Zentralsiedlungen, eine Belielerungssituation mit tierischen Produkten als unumgänglich anmutet. Dennoch ist nicht belegbar, dass diese Siedlungen hinsichtlich ihrer Nahrungsmittelversorgung völlig von ihrem Umfeld abhängig waren.
Dem gegenüber steht das Wirtschaftsmuster von ländlichen Siedlungen der südostbayerischen Gruppe nach dem Zusammenbruch des komplexen Systems der Oppida-Kultur. Diese scheinen, den wenigen vorhandenen Daten nach, weitgehend autark gewirtschaftet zu haben, wie dies auch für die ländlichen Siedlungen und die Viereckschanzen der Oppida-Kultur gelten könnte.
Um regionale oder chronologische Unterschiede in der Tierartverteilung der wichtigsten Haustiere Rind, Kleinwiederkäuer (Schaf und Ziege) und Schweine in den Faunenkomplexen auszumachen, wurden 46 Siedlungen der jüngeren Eisenzeit im nördlichen Alpenvorland und dem deutschen Mittelgebirge mit einer Mindestanzahl von 50 bestimmten Knochenfragmenten zusammengestellt. (Die einzelnen Fundstellen könnten der Onlinepublikation via "Supporting Information" entnommen werden)
Größe und Wuchsform der Rinder
Den kleinen bzw. grazilen Rindern der Alpen stehen während der Eisenzeit größere bzw. kräftigere Tiere in den Alpenvorländern gegenüber. Der römische Einfluss auf den südlichen Alpenrand bzw. die Poebene und die südlichen Alpen ist während der späten Eisenzeit marginal und zeigt wenig Auswirkung auf die Rinderzucht der Fritzens-Sanzeno-Gruppe. Für die südostbayerische Gruppe konnte hingegen das Vorhandensein von großen oder kräftigen Tieren nachgewiesen werden, wie diese vereinzelt auch im Oppida von Manching und insbesondere in Altenburg-Rheinau vorkommen. Weiterhin unklar bleibt, ob dies lediglich auf den Geschlechtsdimorphismus oder auf die Einfuhr und Einzucht eines anderen Rinderschlages zurückzuführen ist. Zumindest für die extremen Ausreißer scheint zweiteres belegbar zu sein. Ein Vergleich mit großen und kräftigen Rinderschlägen im Gebiet des heutigen Südfrankreichs sowie dem mediterranen Raum macht eine Herkunft bzw. Einzucht von Tieren aus dem römisch dominierten Italien wahrscheinlich. Während des ersten Jahrhunderts nach Christus kam es schließlich zu einer gewissen Hybridisierung autochthoner und allochthoner Schläge. Der eisenzeitliche grazile Rindertypus wurde dabei jedoch nicht verdrängt, so dass ein Nebeneinander von verschiedenen Schlägen beobachtbar ist. Der vergleichsweise kräftige mediterrane Rindertypus verschwindet erst am Übergang zum Mittelalter wieder aus dem nördlichen Alpenvorland.
LSI-Analyse der Breitenmaße an Langknochen von Rindern. Die Breitenmaße der Rinder aus den Faunenkomplexen der südostbayerischen Gruppe streuen in einem höheren Bereich und repräsentieren damit größere oder kräftigere Tiere. (A, D, E, F: Oppida-Zivilisation; B: Südostbayerische Gruppe C: Südostbayerische Gruppe in Oppida-Horizonten) Die plausibelste Erklärung für das Auftreten von größeren oder kräftigeren Tieren ist der Import eines allochthonen Phänotpys, der in den Oppida-Kontexten ungewöhnlich war. Diese Tiere kommen hauptsächlich in Faunenkomplexen vor, deren materielle Kultur ausschließlich der südostbayerischen Gruppe zuweisbar ist. Auch die kleine Gruppe außergewöhnlich großer oder kräftiger Individuen aus Manching könnte als allochthoner Phänotyp angesehen werden.
Online-Publikation
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/oa.3391